Mittwoch, 8. Februar 2017

Medien als Erweiterung des Menschen

Eine der ersten Exkursionen im Gebiet der Medien machte unsere Familie, als wir uns mit dem Werk von Marshall McLuhan befassten. Wer war Marshall McLuhan? Er war ein kanadischer Professor der Kommunikationswissenschaft. McLuhan wird uns noch mehrmals begegnen, zu Beginn wollen wir uns eins seiner Hauptargumente anschauen.

Bei der Besprechung fragte ich Nina: „Erinnerst du dich noch, als Joel mit dem Löffel essen lernte?“ Sie antwortete mit einem gespannten Nicken. „Dann weißt du noch, wie er zu Beginn den Löffel in die Hand nahm und man das Gefühl hatte, er wisse mit so einem Werkzeug gar nichts anzufangen. Etwas hilflos fuchtelte er mit seinem Löffel in der Gegend herum. Doch mit der Zeit ist etwas in seinem Gehirn passiert. Das Gehirn hat den Löffel als eine Verlängerung der Hand kennengelernt und so ein 'Löffelprogramm' entwickelt. Der Löffel und viele andere Werkzeuge werden zu einer Erweiterung des Menschen. Oder weißt du noch, Nina, als du zum ersten Mal versucht hast, mit Mamas Stöckelschuhen zu gehen? Das sah super lustig aus – du musstest richtig aufpassen, dass du das Gleichgewicht behältst. Inzwischen schaltet dein Gehirn ganz automatisch zwischen dem Programm für Stöckelschuhe und dem für Turnschuhe um. Auch ein Barfußprogramm gibt es, da passt du automatisch ganz gut auf, dass du nicht auf spitze Gegenstände trittst. Du musst gar nichts tun, um zwischen diesen Erweiterungen umzuschalten, das passiert ganz von selbst. Habt ihr das soweit kapiert?“
Joel fragte: „Papa, ich bin noch nie mit Stöckelschuhen gelaufen. Brauche ich das Programm auch?“ - „Das kannst du dir aussuchen. Ich habe auch kein gut trainiertes Stöckelschuhprogramm. Ich finde es für mich nicht nötig. Wir Männer haben dafür ein Programm, um im Stehen zu pinkeln und erst noch zu treffen. Das fehlt den Damen dafür.“ Lautes Gelächter von allen Seiten.
Nina wollte wissen: „Ok, Papa, was haben die Stöckelschuhe und im Stehen pinkeln mit diesem Professor zu tun?“ - „Darauf wollte ich eben zu sprechen kommen. Mir war nur wichtig, dass ihr mir bis hierher folgen könnt. Wenn was unklar ist, bitte einfach dazwischen krähen. Ok?“ Ein vielstimmiges „Ok!“ war zu hören.
Also dieser McLuhan hat festgestellt, dass nicht nur Stöckelschuhe, Löffel, Hämmer und Scheren solche Erweiterungen des Menschen sind, sondern Medien sind es genauso. Und dabei geschieht es auch automatisch, dass unser Gehirn zwischen den verschiedenen Programmen wechselt. Neuere Hirnforscher haben zum Beispiel herausgefunden, dass der Mensch mit einem papierenen Buch anders umgeht als mit einem Buch auf dem Tablet. Beim Buch aus Papier merkt sich das Gehirn viel mehr selbst, während es beim eBook auf dem Tablet nur ungefähr merkt, was wo steht. Der Grund liegt darin, dass sich das Gehirn daran gewöhnt, dass die Bücher auf dem Tablet immer dabei sind; man hat jederzeit Zugriff darauf. Warum soll sich also das Gehirn so anstrengen, den ganzen Inhalt zu speichern? Beim Papierbuch weiß es aber, dass das Buch ins Regal kommt, und die Inhalte trotzdem abgerufen werden sollen. So nimmt das Gehirn beim Papierbuch viel mehr richtige Inhalte auf und speichert sie. Das ist jetzt aber ein sehr modernes Beispiel; als McLuhan 1980 starb, gab es noch keine Tablets.“
Ich machte eine Pause und ließ die neuen Informationen erst einmal wirken. Joel fand als Erster die Sprache: „Papa, das musst du mir noch einmal erklären. Das ist groß!“ Mir war sofort klar, dass er mit „groß“ eher so etwas wie „kompliziert“ meinte. Ich überlegte: Was für ein Beispiel kennt unser Sohn? „Also, Joel, schau mal. Du hörst ja manchmal Radio. Das ist auch so ein Medium. Im Radio kannst du nicht selbst einstellen, wann du welches Lied hören willst. Oder?“ - „Ja, Papa, aber dann nehm ich eine CD und kann es da einstellen.“ - „Genau – darum geht es. Dein Kopf macht mit der CD etwas anderes als mit dem Radio. Wenn das Radio läuft, ist dein Kopf im Radioprogramm eingestellt. Wenn nun aber die CD läuft, so ist das CD-Programm im Kopf aktiviert. Dann passiert was anderes im Kopf mit den Liedern, die du hörst.“ - „Aber Papa, warum macht mein Kopf das?“ - „Dein und mein Kopf wollen mit möglichst wenig unnötiger Anstrengung leben. Er passt sein Programm immer so an, dass er möglichst wenig Kraft braucht. Inhalte speichern braucht viel Kraft. Wenn dein Kopf also weiß, dass da eine CD drin ist, die du wann immer du willst, wieder anhören kannst, wird er weniger Kraft verbrauchen wollen. Es dauert also länger und braucht mehr Wiederholungen, bis du die Lieder von der CD gelernt hast als vom Radio.“
Also Papa, das finde ich gar nicht gut, dass mein Kopf einfach das macht, was er will, und nicht das, was ich will.“ Hier schaltete sich meine Frau ein und meinte: „Schau mal, Joel, es ist sogar sehr wichtig, dass unser Körper ganz viele Dinge tut, die so schnell gehen, dass wir sie gar nicht mitbekommen. Stell dir mal vor, wenn du deine Hand dummerweise auf die heiße Herdplatte legst, und dann müsstest du dir erst überlegen: 'Aua, das tut weh. Was mach ich jetzt am besten? Ich versuche einfach mal, sie vom Herd zu nehmen.' Bis du das gedacht und umgesetzt hast, hat deine Hand eine riesige Brandwunde. Stattdessen hat Gott unseren Körper so gemacht, dass wir vieles gar nicht mitbekommen, was gerade so alles geschieht. So werden wir vor vielem bewahrt, was uns sonst schaden würde.“
Ich ergänzte: „Es ist auch mit den Gewohnheiten so. Wenn du was ganz oft machst, gewöhnst du dich daran. Es wird dadurch viel einfacher. Wenn es nicht einfacher würde, wäre das ganze Leben echt voll hart. Da bin ich doch echt dankbar, dass wir diese Funktion des Körpers haben.“

Nun endlich mischte sich auch Nina ein: „Du Papa, bei dir lernt man an einem Abend mehr als alle Jahre in der Schule!“ Oh, das gefiel mir. „Danke, Nina! Ich finde es super, wie wir alle zusammen an dem einen Thema sein können. Es ist jetzt schon spät geworden; ich schlage vor, dass wir uns am Samstagabend noch einmal darüber zusammensetzen. Jeder von uns überlegt sich bis dann, wie wir mit dem Thema weitermachen können. Das wird ein richtig tolles Familienprojekt.“

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