Eine
der ersten Exkursionen im Gebiet der Medien machte unsere Familie,
als wir uns mit dem Werk von Marshall McLuhan befassten. Wer war
Marshall McLuhan? Er war ein kanadischer Professor der
Kommunikationswissenschaft. McLuhan wird uns noch mehrmals begegnen,
zu Beginn wollen wir uns eins seiner Hauptargumente anschauen.
Bei
der Besprechung fragte ich Nina: „Erinnerst du dich noch, als Joel
mit dem Löffel essen lernte?“ Sie antwortete mit einem gespannten
Nicken. „Dann weißt du noch, wie er zu Beginn den Löffel in die
Hand nahm und man das Gefühl hatte, er wisse mit so einem Werkzeug
gar nichts anzufangen. Etwas hilflos fuchtelte er mit seinem Löffel
in der Gegend herum. Doch mit der Zeit ist etwas in seinem Gehirn
passiert. Das Gehirn hat den Löffel als eine Verlängerung der Hand
kennengelernt und so ein 'Löffelprogramm' entwickelt. Der Löffel
und viele andere Werkzeuge werden zu einer Erweiterung des Menschen.
Oder weißt du noch, Nina, als du zum ersten Mal versucht hast, mit
Mamas Stöckelschuhen zu gehen? Das sah super lustig aus – du
musstest richtig aufpassen, dass du das Gleichgewicht behältst.
Inzwischen schaltet dein Gehirn ganz automatisch zwischen dem
Programm für Stöckelschuhe und dem für Turnschuhe um. Auch ein
Barfußprogramm gibt es, da passt du automatisch ganz gut auf, dass
du nicht auf spitze Gegenstände trittst. Du musst gar nichts tun, um
zwischen diesen Erweiterungen umzuschalten, das passiert ganz von
selbst. Habt ihr das soweit kapiert?“
Joel
fragte: „Papa, ich bin noch nie mit Stöckelschuhen gelaufen.
Brauche ich das Programm auch?“ - „Das kannst du dir aussuchen.
Ich habe auch kein gut trainiertes Stöckelschuhprogramm. Ich finde
es für mich nicht nötig. Wir Männer haben dafür ein Programm, um
im Stehen zu pinkeln und erst noch zu treffen. Das fehlt den Damen
dafür.“ Lautes Gelächter von allen Seiten.
Nina
wollte wissen: „Ok, Papa, was haben die Stöckelschuhe und im
Stehen pinkeln mit diesem Professor zu tun?“ - „Darauf wollte ich
eben zu sprechen kommen. Mir war nur wichtig, dass ihr mir bis
hierher folgen könnt. Wenn was unklar ist, bitte einfach dazwischen
krähen. Ok?“ Ein vielstimmiges „Ok!“ war zu hören.
„Also
dieser McLuhan hat festgestellt, dass nicht nur Stöckelschuhe,
Löffel, Hämmer und Scheren solche Erweiterungen des Menschen sind,
sondern Medien sind es genauso. Und dabei geschieht es auch
automatisch, dass unser Gehirn zwischen den verschiedenen Programmen
wechselt. Neuere Hirnforscher haben zum Beispiel herausgefunden, dass
der Mensch mit einem papierenen Buch anders umgeht als mit einem Buch
auf dem Tablet. Beim Buch aus Papier merkt sich das Gehirn viel mehr
selbst, während es beim eBook auf dem Tablet nur ungefähr merkt,
was wo steht. Der Grund liegt darin, dass sich das Gehirn daran
gewöhnt, dass die Bücher auf dem Tablet immer dabei sind; man hat
jederzeit Zugriff darauf. Warum soll sich also das Gehirn so
anstrengen, den ganzen Inhalt zu speichern? Beim Papierbuch weiß es
aber, dass das Buch ins Regal kommt, und die Inhalte trotzdem
abgerufen werden sollen. So nimmt das Gehirn beim Papierbuch viel
mehr richtige Inhalte auf und speichert sie. Das ist jetzt aber ein
sehr modernes Beispiel; als McLuhan 1980 starb, gab es noch keine
Tablets.“
Ich
machte eine Pause und ließ die neuen Informationen erst einmal
wirken. Joel fand als Erster die Sprache: „Papa, das musst du mir
noch einmal erklären. Das ist groß!“ Mir war sofort klar, dass er
mit „groß“ eher so etwas wie „kompliziert“ meinte. Ich
überlegte: Was für ein Beispiel kennt unser Sohn? „Also, Joel,
schau mal. Du hörst ja manchmal Radio. Das ist auch so ein Medium.
Im Radio kannst du nicht selbst einstellen, wann du welches Lied
hören willst. Oder?“ - „Ja, Papa, aber dann nehm ich eine CD und
kann es da einstellen.“ - „Genau – darum geht es. Dein Kopf
macht mit der CD etwas anderes als mit dem Radio. Wenn das Radio
läuft, ist dein Kopf im Radioprogramm eingestellt. Wenn nun aber die
CD läuft, so ist das CD-Programm im Kopf aktiviert. Dann passiert
was anderes im Kopf mit den Liedern, die du hörst.“ - „Aber
Papa, warum macht mein Kopf das?“ - „Dein und mein Kopf wollen
mit möglichst wenig unnötiger Anstrengung leben. Er passt sein
Programm immer so an, dass er möglichst wenig Kraft braucht. Inhalte
speichern braucht viel Kraft. Wenn dein Kopf also weiß, dass da eine
CD drin ist, die du wann immer du willst, wieder anhören kannst,
wird er weniger Kraft verbrauchen wollen. Es dauert also länger und
braucht mehr Wiederholungen, bis du die Lieder von der CD gelernt
hast als vom Radio.“
„Also
Papa, das finde ich gar nicht gut, dass mein Kopf einfach das macht,
was er will, und nicht das, was ich will.“ Hier schaltete sich
meine Frau ein und meinte: „Schau mal, Joel, es ist sogar sehr
wichtig, dass unser Körper ganz viele Dinge tut, die so schnell
gehen, dass wir sie gar nicht mitbekommen. Stell dir mal vor, wenn du
deine Hand dummerweise auf die heiße Herdplatte legst, und dann
müsstest du dir erst überlegen: 'Aua, das tut weh. Was mach ich
jetzt am besten? Ich versuche einfach mal, sie vom Herd zu nehmen.'
Bis du das gedacht und umgesetzt hast, hat deine Hand eine riesige
Brandwunde. Stattdessen hat Gott unseren Körper so gemacht, dass wir
vieles gar nicht mitbekommen, was gerade so alles geschieht. So
werden wir vor vielem bewahrt, was uns sonst schaden würde.“
Ich
ergänzte: „Es ist auch mit den Gewohnheiten so. Wenn du was ganz
oft machst, gewöhnst du dich daran. Es wird dadurch viel einfacher.
Wenn es nicht einfacher würde, wäre das ganze Leben echt voll hart.
Da bin ich doch echt dankbar, dass wir diese Funktion des Körpers
haben.“
Nun
endlich mischte sich auch Nina ein: „Du Papa, bei dir lernt man an
einem Abend mehr als alle Jahre in der Schule!“ Oh, das gefiel mir.
„Danke, Nina! Ich finde es super, wie wir alle zusammen an dem
einen Thema sein können. Es ist jetzt schon spät geworden; ich
schlage vor, dass wir uns am Samstagabend noch einmal darüber
zusammensetzen. Jeder von uns überlegt sich bis dann, wie wir mit
dem Thema weitermachen können. Das wird ein richtig tolles
Familienprojekt.“
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